01. Oktober 2023

Walensee-Challenge

Nach zwei sehr anstrengenden und herausfordernden Monaten mit der erfolgreichen Sprint-Europameisterschaft und der Sprint-Weltmeisterschaft habe ich eine Woche Pause eingelegt um mich zu erholen und zu entspannen. Nach dieser Woche der Regeneration und Zeit für Freunde und Familie begann wieder ein Monat mit intensiven und langen Trainingseinheiten. Denn wie schon im letzten Bericht erwähnt, stand der letzte grosse Wettkampf vor der Tür – die Marathon-Weltmeisterschaft in Dänemark. In dieser Vorbereitungszeit wurde ich oft gefragt, wie man für so einen Wettkampf trainiert. Ein Kanu-Marathon bedeutet je nach Austragungsort etwa 26 bis 28 Kilometer zu paddeln und dazwischen in den Portagen 7 mal 200 Meter mit Kajak und Paddel zu rennen.

Aufgrund dieser unterschiedlichen Belastungen wird das Training in drei Blöcke aufgeteilt. So habe ich in den ersten zwei Wochen nur die Grundlagenausdauer trainiert. Das bedeutete mindestens 16 km Paddeln pro Tag, oft in einer Trainingseinheit. In der dritten Woche kam dann noch das Training des schnellen Auswasserns mit Kajak und Paddel dazu, sowie leichte Intervalltrainings. Als Krönung der Hauptvorbereitung absolvierte ich mit meinen Paddelfreunden die Walensee-Challenge. Die Zahlen: 42 km paddeln und 60 km Rennrad fahren. Am frühen Samstagmorgen ging es in Rapperswil los. Mit den Autos und den Kajaks auf dem Dach fuhren wir nach Walenstadt, unserem eigentlichen Start- und Zielort. Mit den Kajaks paddelten wir über den Walensee, durch den Linthkanal, über den Zürichsee bis nach Rapperswil. Nach einer kurzen Verschnaufpause ging es mit dem Rennvelo 60 km zurück nach Walenstadt zu den Autos.

Die letzte Vorbereitungswoche verlief eher ruhig und ich absolvierte nur noch locker Einheiten.

Reise nach Dänemark

Endlich ist es soweit. Nach einem langen Schultag in der Berufsschule sitze ich am Freitag im Auto und fahre nach Deutschland. Genauer gesagt nach Heilbronn. Dort treffe ich Tim Müller, meinen Teamkollegen aus der Schweizer Nationalmannschaft. Wir beide nehmen an der Marathon-Weltmeisterschaft in Dänemark teil. Während der Fahrt gehen mir verschiedene Gedanken durch den Kopf. In der Berufsschule mussten wir uns ein Thema für unsere Vertiefungsarbeit aussuchen und das war eine ziemlich knifflige Aufgabe. Das Thema sollte interessant sein und uns etwas Neues beibringen.

Ich habe ein kombiniertes Thema gewählt. Zum einen werde ich in einer Velowerkstatt mit Hilfe eines Velomechanikers mein neues Rennrad zusammenbauen und zum anderen werde ich mich mit der Tauglichkeit des Rennradtrainings für meine Grundkondition auseinandersetzen, da Joggen für mich kein gutes Grundkonditionstraining darstellt. Ich schlug meinem Lehrer vor, im Rahmen meiner Vertiefungsarbeit die Strecke Bodensee – Genfersee an einem Tag zu fahren. Er meinte, das sei nichts Besonderes, dass schaffe doch jeder. Nun, diese Aussage erstaunte mich sehr, denn die Strecke ist immerhin ca. 370 km lang.

Spät am Abend bin ich endlich bei Tims Familie angekommen. Tim ist deutscher Staatsbürger. Er lebt aber in der Schweiz und trainiert in der Schweizer Kadermannschaft. Am nächsten Tag sind wir zusammen nach Kassel gefahren. Dort durften wir mit den deutschen Kanuten trainieren und bei Tims ehemaligem Trainer übernachten. Wie wahrscheinlich in jedem Bericht erwähnt, ist auch hier wieder eine unglaubliche Solidarität und Verbundenheit unter den Kanuten zu spüren. Die deutschen Marathonprofis gaben uns noch einige Tipps, wie wir uns vorbereiten sollen und worauf wir achten müssen.

Marathon ist Ausdauersport in Vollendung und der Kampf: Mensch, Boot und Paddel gegen die Zeit – eine lange Zeit. Kurzfristig alle Leistungsreserven über 200 oder 500 Meter zu aktivieren ist eine Sache, die eigenen Kraftreserven über die gesamte Marathondistanz intelligent einzuteilen eine ganz andere. Zusätzlich sind noch weitere Hindernisse zu überwinden. Die Portagen müssen auf dem Landweg bewältigt werden. Gerade auf diesen Strecken, die zwischen Ein- und Ausstieg ca. 200 Meter lang sind, haben sich schon einige Rennen entschieden.

Wir blieben zwei Tage in Kassel und fuhren am Montag nach Vejen, ins idyllischen Südjütland, dem Land der Wikinger. Auf dem Jels Sø (Jels-See) fanden vom 30. August bis 3. September die Weltmeisterschaften im Kanu-Marathon statt.

Durch den Schlachtruf gestärkt

Neben den Wettkämpfen wurde den Zuschauern ein buntes Rahmenprogramm unter dem Motto „Join the Vikings“ geboten. So konnten historische Brettspiele der Wikinger ausprobiert, eine kulinarische Zeitreise unternommen oder die Sonderausstellung «Gold for the Gods» besucht werden.

Tim und ich hatten das Glück im benachbarten Vejen auf dem Gelände einer riesigen Sportanlage ein kleines Häuschen ganz für uns allein zu bekommen. Sehr komfortabel und angenehm. Frühstück und Abendessen nahmen alle Athleten auf dem Gelände der Sportanlage im dazu gehörenden Hotel ein. Das Mittagessen bekamen wir in Jels auf dem Wettkampfgelände. Ich muss das Essen sehr loben. Es schmeckte ausgezeichnet.

Dienstag und Mittwoch nutzten Tim und ich zum Akklimatisieren. Wir gingen aufs Wasser testeten unser Material und übten die Portagen. Die Portagen, das heisst das Auswas-sern und mit dem Boot einige Meter rennend zurückzulegen und wieder Einwassern, ist ein entscheidender Punkt beim Kanumarathon. Hier kann man unter Umständen viel Zeit verlieren. Deshalb gilt es dies sehr gut zu üben. Die Übergänge waren vom Wasser an einem Holzsteg auswassern, dann wenige Meter eine Wiese und Sandstreifen überqueren, um wieder auf Wiese zu wechseln und schliesslich ins Wasser einzuwassern. Auf den Fotos kann man dies sehr gut sehen und sicherlich nachvollziehen, dass diese Übergänge sehr mühsam sein können. Einige steckten ihre Bootsspitze in den Sand und kamen nicht mehr weiter andere füllten ihre Boote beim Einwassern mit Wasser. Beim Eliterennen fuhr ein Athlet in einen Pfosten am Steg und brachte so einen anderen Teilnehmer zum Kentern. Ich liess mir deshalb Zeit und übte die Portagen sehr sorgfältig.

Am Mittwochabend fand die Eröffnungsfeier mit allen Athleten statt. Wir liefen mit unseren Landesfahnen durch Jels und zogen schliesslich auf dem Festplatz ein. Dieser Festplatz ist wie ein Amphitheater gestaltet. Aber nicht wie eines zur Römerzeit sondern ein authentisches Wikingeramphitheater.

Nach den offiziellen Festreden und Ehrungen ritten drei Wikinger in den Innenkreis und begrüssten uns Sportler. Sie erinnerten uns daran, dass die Wikinger mit viel Mut und Durchhaltewillen die Welt eroberten und dass sie mit ihren schlanken schnellen Booten beinahe die ganze Welt besegelten. «Sei ein wenig wie ein Wikinger stark, mutig und stets dein Ziel vor Augen.»

Mit diesem Schlachtruf in den Ohren fuhren wir zurück in unser Häuschen.

Short-Race

Am nächsten Tag also am Donnerstag starteten die Wettkämpfe mit den Short Races. Dies sind Rennen über 3,5 Kilometer und zwei Portagen. Die Chance, dass ich in diesem Rennen vorne mit dabei fahren konnte, waren sehr gering. Es gab keine U23 Klasse. Ich trat also gegen die Elite Klasse an und somit gegen viel ältere Kanuten.

Vor dem Rennen war ich sehr nervös und war froh, als es endlich los ging. Das Tempo im Rennen war schnell. Für mich war es ein guter Test, um meine Startsicherheit und die Portagen zu überprüfen. Beides lief sehr gut. Ich belegte schlussendlich im Rennen den 14. Platz.

Endlich war der Tag da. Am Austragungstag des Marathons hatten Tim und ich viel Zeit und mussten uns in Geduld üben. Der Start des Marathons fand um 16:45 Uhr statt. An diesem Rennen waren 30 Athleten gemeldet. Mein Startplatz war links aussen, Tim startete rechts aussen. Beide Plätze sind eher schwierig, um eine gute Ausgangsposition zu finden. Für mich war es der erste Marathon in der Kategorie U23 und für Tim der letzte. Tim ist vier Jahre älter wie ich und wird ab nächstes Jahr in der Eliteklasse starten.

Ein Marathon fordert viel taktisches Fahren, Startpower und Grundkondition. Der Start muss schnell und kraftvoll sein. Man muss innerhalb kurzer Zeit eine gute Position in einer Gruppe erreichen.

Ohne eine Gruppe, die zusammen die Runden paddelt, verbraucht man viel zu viel Energie. In der Gruppe wechseln sich die vordersten jeweils ab, man kann sich das ähnlich vorstellen wie das Windschattenfahren bei Rennvelofahrern.

Mir gelang leider der Anschluss an eine solche Gruppe nicht, da mir nach der Startphase der Weg blockiert wurde und ich den Anschluss nicht mehr fand. Dies bedeutete, ich musste die 26 km allein paddeln. Für mich eine sehr harte Erfahrung. Ich versuchte, die vor mir paddelnden Athleten, sprich Tim und drei andere Kanuten, einzuholen. Dies war jedoch nicht zu schaffen. Sie konnten sich gegenseitig auf den Wellen fahren und somit auch schneller paddeln. Jetzt galt es einfach den Mut nicht zu verlieren und alles zu geben. Ich konnte meine Position halten und in der Schlussrunde überholte ich einen der drei Paddler, welche mit Tim unterwegs waren.

Tim fuhr auf Platz 21, ich erreichte Platz 24. Ehrlich gesagt, hatte ich mir eine bessere Platzierung erhofft und bin ein wenig enttäuscht.

Mein Umfeld und die anderen Trainer versicherten mir, dass ich stolz sein könne. Es sei eine gewaltige Leistung die Runden ohne Gruppenhilfe zu paddeln. Positiv ist sicherlich zu erwähnen, dass die Portagen und das Einwassern perfekt funktionierten. Das neue Trinksystem funktionierte ebenfalls.

Marathon im K2

Am Samstag konnten wir uns auf den Marathon im K2 vom Sonntag vorbereiten. Eine spannende Angelegenheit. Die Portagen sind allein schon eine herausfordernde Sache. Zu zweit gleichzeitig auszuwassern und wieder aus dem Lauf einzuwassern ist wirklich eine Challenge.

Am Abend fand das Eliterennen der Männer statt. Der Däne Mads Petterson dominierte das Rennen. Er meisterte souverän die sieben Portagen und acht Runden. Er gewann den Marathon in der unglaublichen Zeit von 1:57:57 und wurde Weltmeister.
Sonntag, der letzte Renntag war für mich ein spezieller Tag. Tim und ich nahmen im K2 an einem Rennen teil, das eigentlich weit über unserer Klasse lag. Der normale Teilnehmer ist ein paar Jahre älter als ich. Wir wollten dieses Rennen als Chance sehen, um Erfahrungen zu sammeln.

Der Einstieg ins Rennen sprich die Startphase verlief sehr gut. Wir konnten das Tempo halten. Natürlich fielen wir zurück, fanden aber Anschluss an eine gute Gruppe. Wir waren vier Boote, die zusammen paddelten und sich gegenseitig beim Wellen geben abwechselten. Die Portagen verliefen ebenfalls sehr gut. Nach fünfeinhalb Runden entschied Tim, dass wir das Rennen vorzeitig beenden. Durch die sehr harten Rennen der vergangenen Tage war er am Ende seiner Kräfte. Er konnte sich nicht mehr sauber im Boot stabilisieren und unser Kajak fiel nach jeder Portage mehr auf die rechte Seite. Deshalb lag unser Kajak nicht optimal im Wasser und es war sehr streng.

Trotzdem wäre ich gerne das Rennen fertig gefahren. Da jedoch ein Kajak Zweier ein Mannschaftsboot ist und immer auf gegenseitiges Vertrauen beruht, gilt es den Entscheid des Bootpartners zu respektieren. Dass wir trotzdem bis fast zum Schluss ein sehr gutes Rennen fahren konnten, erfüllt mich mit Stolz.

Aus dieser Marathon WM nehme ich viele positive Erlebnisse mit nach Hause. Ich konnte meine Stärken ausspielen, habe aber auch meine Schwächen gespürt. Die Rangplätze, die ich erreicht habe, sind leider knapp an meinen Zielplatzierungen vorbei. Das heisst Training und Ernährung nochmals überdenken und gegebenenfalls anpassen.

Marathon fasziniert mich unglaublich und die eigene Leistungsgrenze zu spüren und versuchen zu überschreiten, macht auch Spass.
Für mich ist das Thema Marathon noch lange nicht beendet, sondern die Weltmeisterschaft hat mir erneut aufgezeigt – ich bin auf dem richtigen Weg. Natürlich wird mein Weg keine Autobahn ohne Hindernisse sein, aber ich werde weitermachen und die Ziele verfolgen.

Am Sonntag sass ich mit Tim noch im gleichen Boot und am darauffolgenden Mittwoch stehe ich bereits wieder in meinem Lehrbetrieb und arbeite. Ich bin jetzt im vierten Lehrjahr und habe meine Abschlussprüfung vor mir. Mein Ausbildner und ich werden in der nächsten Zeit zusammensitzen und meine Vorbereitung planen. Durch meine häufige Trainingsbedingte Abwesenheit muss ich mir noch konzentriert einige handwerkliche Fähigkeiten aneignen. Auch hier ist eine seriöse Planung gefragt. Für mich wird auch dieses Lehrjahr voll mit Terminen, Pflichten und Anforderungen sein, die ich ernst nehme und gut meistern möchte.

Ich freue mich schon jetzt auf die Zeit nach der Lehre. Hoffentlich eine Zeit des Sports und dem Fokus auf die sportliche Eroberung der Welt. Ganz im Sinne der Wikinger, die die Welt mit ihren schnellen Booten nicht nur eroberten, sondern auch viel Wissen und Erfahrungen nach Hause brachten.

Internationale Regatta, Rapperswil

Nach drei Wochen Alltag stand die Abschlussregatta in der Schweiz an. Ein sehr kleiner Wettkampf mit wenigen Teilnehmern, da die meisten schon in den Ferien sind. Der Wettkampf war für mich ein sehr großer Erfolg. Ich konnte in vielen Disziplinen gute Platzierungen erreichen, wie zum Beispiel über 500m oder in der Staffel. Zudem konnte ich mit meinem Heimverein, dem Kanu Club Romanshorn, und meinen Teamkollegen die sehr erfolgreiche Saison nochmals sportlich ausklingen lassen.